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Neue Geschichten von Herrn Blyantur


Paketschnur

 
„Die sechs Mappen lagen, mit einer Paketschnur zusammengebunden, in seinem Schreibsekretär...“
Das schrieb Eva Strittmatter im Nachwort zu den posthum herausgegebenen Geschichten „Kalender ohne Anfang und Ende“ ihres Mannes Erwin.
Darin las Herr Blyantur am Abend vor dem Einschlafen.
Am Morgen dachte er, das man so etwas heute nicht mehr schreiben könnte. Heute benutzt man keine Paketschnur mehr, heute nähme man braunes oder durchsichtiges Paketklebeband. Herr Blyantur war noch so klein, dass man ihn Curtchen rief, da wurde es Zeuge des Ereignisses Westpaket. Sein Onkel, der das kleinere Deutschland in Richtung größeres Deutschland verlassen hatte und der sich hinter der Stadt Köln als Knecht bei einem Bauern verdingt hatte, schickte einmal ein solches Paket, als Curtchen bei den Großeltern in den Ferien war. Der Postbote hatte das Paket am Vormittag gebracht. Es lag unberührt auf dem Küchentisch und wurde immer mal wieder von der Oma und von Curtchen betrachtet. Geöffnet wurde es nicht. Man wartete auf den Opa. Der arbeitete als Weichensteller beim Bergbauunternehmen. Einen solchen Beruf gibt es heute nicht mehr. Weichen stellt der Computer auf Knopfdruck. Sein Opa hatte damals in einer winzig kleinen Bude gesessen. Diese konnte Curtchen einmal besichtigen, als er mit seinem jüngsten Onkel auf dessen Fahrrad dorthin mitgenommen worden war. In dieser Bude gab es einen Tisch, einen Stuhl und einen eisernen Ofen. Auf dem Tisch stand ein großes schwarzes Telefon. Wenn es klingelte, nahm der Opa den Hörer ab und lauschte. Dann sagte er: „In Ordnung“ in den Hörer und ging hinaus zur Weiche. Mit dieser Weiche konnte er die Kohlezüge aus dem Tagebau nach links oder nach rechts schicken. Zur Brikettfabrik oder zum Kraftwerk hinüber. Am Telefon sagte man ihm, wo der nächste Zug hin sollte. Dann ging er hinaus und legte einen Hebel mit einem ziemlich schweren runden Gewicht am Ende um. Die Weiche war gestellt. Das war die Arbeit von Curtchens Opa. Von der sollte er möglichst schnell nach Hause kommen, denn da wartete das Paket aus der fernen Stadt. Und mit dem warteten Curtchen, Oma und der jüngste Onkel. Ersterer auf Schokolade, Oma auf den Bohnenkaffee und der Onkel gierte nach Peter Stuyvesant, einer bekannten Zigarettensorte. Und dann war es soweit. Der Hofhund Strolch zeigte es an mit Winseln und Schwanzwedeln. Der Opa kam. Zuerst aber wollte Strolch ausgiebig gestreichelt werden. Dann endlich saß Opa am Tisch. Vor sich das Westpaket. Kaffeeduft, Puddingpulverduft, Schokoladenduft und Zigarrengerüche warteten darauf, entlassen zu werden in die Küchenumwelt. Zuerst wurde die Paketschnur, die sich kreuzweise um die Hülle schlang, entfernt. Aber nicht etwa durchschnitten, sondern aufgeknüppert. Weststrippe wurde nicht zerschnitten. Auch das braune Packpapier legte Opa ordentlich zusammen. Darunter kam das Kunstwerk des nun rheinländischen Onkels zum Vorschein. Über jede der sechs Flächen zogen sich mehrere Schnurbahnen. Die größte Paketfläche war dadurch in nicht weniger als zwölf Kästchen unterteilt. Und die Schnur war an jedem der zahlreichen Kreuzungspunkte verknotet. Opa drehte und wendete das Paket, um das Ende der Schnur zu finden, das beim Aufknüppern dann der Anfang war. Und er band jeden Knoten auf und ließ sich auch nicht dadurch aus der Ruhe bringen, dass die Oma ihm das Kartoffelschälmesser hinhielt. Wie gesagt, Weststrippe wurde nicht zerschnitten.
Sehr viel später würde Herr Blyantur erfahren, dass diese aufwändige Verschnürung einen guten Grund hatte. War sie zerstört, dann hatten die Zöllner an der Grenze zwischen den beiden Deutschlands das Paket geöffnet.



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   © 2014 by Rolf Schapp •