Neue Geschichten von Herrn Blyantur
Halber Liter
Es war das alljährliche Musikantentreffen, dass Herrn Blyantur in die
Kastanienallee gelockt hatte. Er saß auf einer hölzernen Bank, deren
Zapfenverbindungen schon so desolat waren, dass Schrauben zum
Zusammenhalt herhalten mussten. Auf der gegenüberliegenden Seite der
Straße stellten vier junge Männer mittels eines Schlagzeugs und dreier
Gitarren rhytmischen Radau her.
So war das bei diesem Musikantentreff. Man suchte sich einen
Platz, an dem ein netter Geschäftsmann oder Kneipenwirt oder ein
befreundeter Anwohner den Strom zur Verfügung stellte, ohne den die
Verstärker nicht verstärkten. Und dann musizierte man drauflos in der
Hoffnung, mit seinen Klängen Anklang zu finden.
Die vier jungen Männer auf der anderen Straßenseite probierten es
wenigstens.
Der Rotwein war ganz passabel. Auf der Karaffe stand in
Glasbuchstaben „mezzo litro“, was Herr Blyantur kühn mit „halber Liter“
übersetzte, denn genau das hatte er bestellt. Herr Blyantur saß da,
nahm ab und zu einen Schluck vom Rotwein, hörte die Geräuschkulisse und
sinnierte über etwas, was ihm bei etlichen der Vorübergehenden auffiel.
Er überlegte sich, dass es Parallelen in der Historie geben
könnte. Zuerst kam ihm der Name d'Artagnan in den Sinn. Dieser und
seine drei Musketierfreunde hatten nicht die Muskete, wie man vermuten
könnte, als ihr Markenzeichen, sondern den Degen. Ohne Degen ging es
nicht. Ohne Degen war fast so, wie ohne Kopf.
Die Gedanken kletterten die Synapsen entlang weiter in die Zeit
des Grafen von Monte Christo. Da war es das Stöckchen, das Mode war und
Muss. Es diente nicht als Gehhilfe, sondern war Statussymbol. Man trug
es bei sich. Je reicher man war, desdo reicher verziert war der Knauf.
Das Stöckchen selber war so wertvoll nicht, denn bei einem Geplänkel
kam es schon mal vor, dass es auf dem Rücken des Widersachers zu Bruch
ging. Dann drehte man den wertvollen Knauf an ein anderes Stöckchen.
Manch einer verbarg allerdings im Stöckchen auch ein Mordinstrument
namens Dolch. Oder ein Gefäß zur Bereitstellung geistiger Getränke.
Bei den Cowboys Nordamerikas ging es gar nicht ohne wenigstens zwei
Colts.
Englische Gentlemans gingen niemals ohne einen schwarzen Regenschirm
vor die Türe.
Das alles ging Herrn Blyantur im Kopf herum, als er seine
Zeitgenossen beobachtete, die auf der Straße an seinem Platz auf der
Bank vorüber gingen.
Und etliche der Vorübergehenden hatten eine Halbliterflasche Bier in
den Händen.
Degen, Stöckchen, Colt oder Regenschirm der Neuzeit?
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Die Texte
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