Neue Geschichten von Herrn Blyantur
Herr Blyantur und die Weltreise
Herr Blyantur hatte der Versuchung wieder einmal nicht widerstehen
können. Am Wühltisch der Buchhandlung war ihm ein Schild aufgefallen,
auf dem geschrieben stand, man könne jeweils einen Euro sparen, wenn
man vier Bücher auswählen würde. Er suchte lange und hatte dann doch
vier preisred.
Mängelexemplare gefunden, von denen er annahm, sie könnten
interessant sein.
In dem einen las er, im DDR-Duden käme das Wort Weltreise
nicht vor. Leider konnte er das nicht überprüfen, weil er einen solchen
Duden nicht besaß. Und auch die zwei Bekannten, die er deswegen
angerufen hatte, besaßen keinen DDR-Duden mehr. Vielleicht aber hatten
sie auch nie einen solchen besessen, wollten es aber nicht zugeben.
Herr Blyantur sollte sich einen solchen kaufen, als er ab der
neunten Klasse die Erweiterte Oberschule besuchte. Das Geld reichte
aber nur zu einer abgespeckten in grünes Kunstleder gebundenen Variante
namens Rechtschreibung
der deutschen Sprache für knapp 6 Mark.
Weil das Buch aus dem Jahr 1960 stammt, kommt zwar das Wort Sputnik schon vor,
aber Computer
sucht man vergebens, denn auf Commonwealth
folgt gleich con brio.
Weltreise
aber kommt auch in diesem Buch nicht vor.
Herr Blyantur dachte sich: Das will ich doch mal sehen, ob der
Westduden das Wort kennt.
Der kennt es allerdings.
Nun den Wahrig vorgekramt, den er sich kurz nach dem Umsturz
– auch Mauerfall genannt - gegönnt hatte.
Dort steht es nicht drinnen.
Wenigstens steht es in dem
Exemplar von Herrn Blyantur nicht drinnen, denn auf die Seite 1408
folgt unmittelbar die Seite 1441. Es fehlen zweiunddreißig Seiten. Es
fehlt also eine ganze Lage. So lautet korrekt der Fachbegriff. Das
teilte ihm die Mitarbeiterin des Verlages mit, der er die Geschichte
per elektronischem Brief mitgeteilt hatte. Das Fehlen war ihm in all
den Jahren nur deshalb nicht aufgefallen, weil er nichts gesucht hatte,
was zwischen Wandteller
und wissen
verzeichnet ist.
Weil diese Seiten aber fehlten, fiel Herrn Blyantur wieder einmal etwas
ein.
Er hatte gewissermaßen eine Assoziation.
Vor vielen Jahren, als es am Busbahnhof neben seiner Arbeitsstelle
noch die Volksbuchhandlung gab mit dem hundeliebenden Leiter, war das
Erscheinen eines vierbändigen Lexikons angekündigt worden.
Man hatte das Internet noch nicht erfunden, ja, man hatte noch nicht
einmal das Wort Internet erfunden. Da war man auf Nachschlagewerke
angewiesen.
Also bestellte sich Herr Blyantur ein solches Lexikon, genau wie
etliche seiner Kollegen.
Beim dritten Band passierte es dann. In Achims Exemplar war ein
leeres Blatt geraten. Ein weißes Blatt Papier, das dafür sorgte, dass
in einer Lage zwei leere Seiten erschienen.
Da war damals die Aufregung groß. Emil, der zwar nur mit Spitznamen
(heute sagt man nickname)
so hieß, blätterte daraufhin akribisch jede Seite seines Exemplars um
und verfolgte außerdem noch die Seitenzahlen. Damit ja nicht etwa
zufällig eine Seite abhanden gekommen sei. Das Spielchen betrieb er
dann natürlich auch bei dem im nächsten Monat ausgelieferten Band 4.
Und mit ihm wie selbstverständlich auch alle anderen, die sich das
Lexikon bestellt hatten. Auch Herr Blyantur gehörte damals zu den
Leereseitensuchern. Allerdings ohne Erfolg.
Der Verlag des Wahrig
hatte ihm Ersatz für sein Mängelexemplar geliefert.
Dieses Buch war um einiges schwerer und enthielt neben der fehlenden
Lage auch 235 Seiten mehr.
Da würde Herr Blyantur Zeit brauchen, um festzustellen, welche Worte
denn hinzugekommen waren in all den Jahren zwischen dem einen und dem
anderen Buch.
Zunächst aber galt es, eine Sache nachzuschlagen.
Das tat er auch sofort, nachdem er die Plastikhülle vom
Geschenkexemplar abgerissen hatte.
Das Wort Weltreise
war vorhanden.
|
Die Texte
Herr Blyantur und die Weltreise
Halber
Liter
Französin
Buchsuche
Saunagänge
Optische
Täuschung
Dimensionen
Gefährdete
Weihnacht
Alkoholische
Gärung
Kleenkoschen
I
Kleenkoschen
II
Salve
Panne
Sandstein
Paketschnur
Ein
kleines Glücksgefühl
|