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Komparse


Eigentlich wollte Herr Blyantur nur zum Wochen­markt fahren.
 Das Wort eigentlich betonte er aus ir­gendwelchen unerfindlichen Gründen immer auf der Silbe -gent-.
Er stand also an der Haltestelle, um mit dem Bus die sechs Stationen bis zum Wochenmarkt zu fahren. Von der gegenüberliegenden Straßen-
seite her kam ein Mann herüber, dessen heller Hut etwas Sommer zu versprechen schien. Das war für Herrn Blyantur der Aufhänger, um den ihm völlig fremden Menschen anzusprechen.
„Sie wollen wohl die Sonne herbeilocken“, sprach er.
„Ich hab schon überlegt, angesichts der momentanen Temperaturen den Winterhut aufzusetzen“, sagte der Mann.
Weil nun Herr Blyantur ein neugieriger Mensch ist, versuchte er mit der Bemerkung: „Sie sehen ein wenig aus, wie ein Künstler“, das Gespräch im Gange zu halten.
„Dieses Wort mag ich gar nicht“, sagte der Mann. Warum er es nicht mochte, sagte er aber nicht.
Nachdem er Herrn Blyantur kundgetan hatte, dass er Regisseur am Theater gewesen sei, ergab das weitere Gespräch, dass er genau an dem Theater Regie geführt hatte, an dem Herr Blyantur vor langer Zeit während der Schulzeit als Komparse – Herr Blyantur sagte „als Volk“ - tätig war.
Und das kam so:
Der Musikdirektor des Theaterorchesters hatte ein Vorspiel komponiert zu Shakespeares „Komödie der Irrungen“. Eine Marktszene sollte die Zuschauer auf das folgende Lustspiel einstimmen. Dafür wurden zwei sich prügelnde Matrosen gesucht.
Herr Blyantur war in seiner Freizeit ein angehender Judoka und wurde von seinem Trainer Tristan gefragt, ob er Lust hätte, in einem Theater-
stück mitzuspielen. Natürlich hatte er Lust. Und so trainierte er mit sei-
nem Kumpel Olaf unter der Anleitung von Tristan die Marktszene mit den prügelnden Matrosen ein. In dieser Szene spielten solche Begriffe wie Seoi-nage, ein Schulterwurf und Tomoe-nage, ein Rückfallwurf sowie ein Gummimesser eine Rolle.
Herr Blyantur wusste noch, dass es eine ziemlich schmerzhafte Sache war, in hohem Bogen durch die Luft zu fliegen und dann auf den Bühnenboden zu krachen. Wobei die Luftfahrt so schmerzhaft nicht war. Die Landung dann schon eher.
Komischerweise erinnerte sich Herr Blyantur nicht daran, wie den Zuschauern die Prügelei gefallen haben könnte.
Der Mann an der Bushaltestelle aber konnte sich zu Herrn Blyanturs Erstaunen an diese Szene erinnern.
In der nächsten Inszenierung – es handelte sich um Shakespeares Romeo und Julia – passierte es in einer Vorstellung, dass während einer Fechtszene zwischen den verfeindeten Familien der Capulets und der Montagues einem Fechter der Degen genau am Knauf zerbrach und die Teile mit Getöse auf die Bühne fielen.
Das erzählte Herr Blyantur dem Mann an der Haltestelle.
„Das war mein Degen“, sprach dieser schmunzelnd.

Zwei solcher Zufälle, die Herrn Blyantur an eine schöne Zeit in seiner Jugend erinnerten, erfüllten ihn mit einem Hochgefühl, das auch nach dem Wochenmarktbesuch bis in die Abendstunden hinein anhielt.

 
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