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Fortsetzung Gedichte



Das Studententheater - genannt „Studentenbühne“ - gestaltete einmal ein Lyrikprogramm. Dort war ein Gedicht von Jewgenij Jewtuschenko sein Part. Bekannt ist vom Jewtuschenko die Gedichtzeile „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ Cutti sagte ein andres Gedicht auf. Der Titel ist die erste Zeile.

Als dein Gesicht sich vor mir hob
und aufging über meinem Leben,
begriff ich erst: Erbärmlich arm war ich.
Nichts konnte ich dir geben....

Es folgen noch sechzehn weitere Zeilen. Michael Lermontow, ein russischer Dichter, vergleichbar unserem Goethe, hatte 1832 ein Gedicht verfasst mit dem Titel „parus“, zu deutsch „Segel“. Irgendwann einmal hatte Cutti das auswendig gelernt in der Originalsprache.
Hier ist die erste Strophe ins Deutsche übersetzt:

Einsam glänzt ein weißes Segel
In des Meeres blauem Nebel!
Von der Fremde, was verlangt's?
Was verblieb am Heimatstrand? …

Als Herr Blyantur in der Stadt wohnte, in der die Lastkraftwagen der DDR hergestellt wurden, war er im Kulturhaus der Stadt in einem Kulturensemble, das einmal in Wünsdorf bei der dortigen sowjetischen Garnison auftrat. Zur Freude von über tausend Soldaten sprach er das Lermontow'sche Gedicht in russischer Sprache.
Der Saal tobte.
Noch mehr tobte aber der Saal, als die Ansagerin die Schlagerzeile „Küsse nie nach Mitternacht, Josephine“ ins Russische übersetzte. Beim anschließenden Bankett trank Cutti soviel Wodka, dass er danach nicht wusste, wie er nach Hause gelangt war. In dieser Zeit des Sturm und Drangs schrieb er selber auch Gedichte. So genannte freie Lyrik.
Reimte sich nicht, hatte aber Rhythmus. Er schrieb den Namen der jeweils Angebeteten von oben nach unten hin und machte aus jedem Buchstaben eine Zeile. Diese „Werke“ sind ins Nirvana entschwunden.

Cupido!
Höre!
Rette mich!...

...sind die Zeilen, die ihm noch nicht entfallen sind.
Welcher Name dazugehört, kann man vielleicht erraten.
Vor einigen Monaten dichtete er dann:

Ich schreib ein Lied aus Stille.
Ich schreib's nicht auf Papier,
ich schreib es in die Wolken...

Kurz darauf kaufte er in einem Antiquariat ein Poesiealbum. Das war einst eine beliebte Veröffentlichungsmöglichkeit für junge Autoren in der DDR.
Es war die Nummer 149, ein schmales Bändchen, mit Gedichten von Eva Strittmatter und es kostete einmal 90 Pfennig der DDR-Währung. Enthalten sind darin einundvierzig ihrer frühen Gedichte. Und da las er erstaunt:

Ich mach ein Lied aus Stille
Und aus Septemberlicht.
Das Schweigen einer Grille
Geht ein in mein Gedicht.

Da war er geschockt. Am Boden zerstört. Wieso war ihm die fast gleiche erste Zeile eingefallen?
War das ein Zufall? War es was Überirdisches? Etwas Esoterisches?
Keines von alle dem. Das stellte er erleichtert fest, als er das Buch „Leib und Leben“ über Eva Strittmatter wieder einmal in die Hand nahm. Auf Seite 107 ist das Gedicht „Vor einem Winter“ abgedruckt mit dieser ersten Strophe und das hatte er gelesen. Damit ihn nicht das Schicksal eines gewissen plagiierenden Doktors ereilt, hatte er sein Gedicht weggeworfen. Doch dieses Ereignis führte dann schließlich dazu, dass er sich etliche Gedichtbücher von Eva Strittmatter gekauft hatte. In denen liest er jetzt gerne vor dem Einschlafen. Manche lernt er auswendig.
Wie das eine Gedicht, dessen Titel sie für noch ein zweites Gedicht verwendet hat:

Weiden

Einst hab ich drei Weiden besungen.
Eine ist nur geblieben.
Ich habe drei Weiden besungen,
So sind auch drei Weiden geblieben.

Es dauert, bis man es begreift.

 
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