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Einwortgeschichten

Schummerstunde

Er hatte dann im Bett mit dem Lesekissen unter dem Kopf noch einmal das Buch Wildbirnenbaum seiner Lieblingslyrikerin Eva genommen, um das Gedicht zu finden, das diesem Buch den Titel gab.
Im Inhaltsverzeichnis wurde er nicht fündig. So blätterte Herr Blyantur also Seite für Seite um, las alle Gedichte kurz an und fand auf der Seite 106 das Gedicht Erinnern. Sie erinnert sich an eine Reise nach Tblissi. Von Georgien handeln etliche ihrer Gedichte, denn sie liebte dieses Land und wurde in diesem Land damals auch sehr geliebt.
Wenigstens von einem Menschen. In diesem Gedicht also kommt das Wort Wildbirnenbaum vor. Unterwegs dorthin begegnete ihm eine andere Gedichtzeile: Schneestille. Dunkelstunde .
Mit dem Wort Dunkelstunde assoziierte er etwas.
Er versuchte es, aber es gelang ihm gerade nicht. Er wollte ein Gefühl herstellen, an das er sich zu erinnern glaubte. Ein Gefühl von innerer Ruhe.
Wenn er – da hieß er noch Curtchen - bei den Großeltern in dem Haus am Ende der Straße war, kam es vor, dass der Opa am Abend das Licht löschte. Ein Relikt aus der Nachkriegszeit, da regelmäßige soge-
nannte Stromsperren das ohnehin taten. Das Licht löschen.
Dann herrschte völlige Dunkelheit bis auf das rote Glimmen aus dem Feuerloch des Küchenherdes. Man saß da und tat nichts.
Man saß nur da. Eventuell erzählte die Oma eine Geschichte aus ihrer Mädchenzeit. Herr Blyantur konnte sich an all diese Geschichten noch erinnern, hatte die Oma sie doch immer mal wieder erzählt.
Opa rauchte eine Pfeife mit einem selbst hergestellten Gemisch zweier Tabaksorten. Die eine schmeckte und die andre war billig. So streckte er den Genuss der einen Sorte.
Nach einer gefühlten Stunde dann wurde das Licht wieder ange-
schaltet und der Zauber der Schummerstunde verflog.
Meist musste Curtchen dann ins Bett.

Herr Blyantur tat das auch jetzt noch ab und an.
Einfach dasitzen und nichts tun.
Und er fand das erholsam.

Manches Mal ertappte er sich dabei, dass auch er Geschichten mehrmals erzählte.