Einwortgeschichten
Aquarium
Er hatte ihn wieder einmal gesehen. Bei
einem Bekannten. Eigentlich kannte er ihn schon seit der Zeit, in der
das Betriebssystem der Com-
puter noch DOS hieß. Doch manche Dinge
verschwinden aus dem Gedächtnisspeicher und brauchen einen Anschubs, um
wieder her-
vorzukommen. So war es auch hier. Der Besuch bei dem
Bekannten holte die Erinnerung hervor.
Kaum war er zu Hause, schaltete er seinen Rechner an und ließ die
Suchmaschine tun, was deren Name versprach.
Sie fand über 159 Millionen Treffer.
Für den Suchbegriff „Aquarium“. Nachdem er als zweiten Begriff
„Bildschirmschoner“ dazugeschrieben hatte, reduzierte sich die
Trefferzahl auf schlappe knappe 150000.
Der erste Bildschirmschoner, mit dem er mal Spaß hatte, nannte sich
„Melting Ice“. Wenn dieser sich einschaltete, gefror das Bild auf dem
Bildschirm und begann dann nach unten zu fließen.
Wie schmelzendes Eis
eben.
Er hatte ihn heimlich auf dem Rechner der Sekretärin installiert. Das
konnte man damals noch.
Er konnte noch ihren Schrei hören: „Curt, komm mal her, der Fern-
seher
ist kaputt!!“
Sie sagte zum 15-Zoll-Röhrenmonitor anfangs immer Fernseher.
Der Aquariumbildschirmschoner war schön anzusehen, aber er war doch
kein Aquarium.
Sein erstes Aquarium hatte Herr Blyantur als Schüler. Es war ein
Vollglasbecken von zwanzig Litern Fassungsvermögen und es
schwammen Guppies und Schwertträger darin herum.
Als das Schwertträgermännchen mit der markanten Spitze an der
Schwanzflosse verschwunden war, hatte man die Katze im Ver-
dacht. Sie
war aber unschuldig, denn er fand das getrocknete Fisch-
lein später
hinter dem Becken. Es war an der Abdeckglasscheibe vorbei
hinausgesprungen.
Später klebte er sich selber zwei Aquarien zusammen. Das Klebe-
mittel
hieß Cenusil und war einfaches Silikon, durfte so aber nicht heißen,
weil der Name wohl geschützt war.
Diese beiden Becken fassten um Einiges mehr als zwanzig Liter.
Mit seinem Freund holte er eimerweise roten Kies aus dem Fluss, der
durch die Stadt floss. Dazu mussten sie sich nicht einmal die Füße nass
machen, denn der Kies war aus dem Fluss ausgebaggert worden und so
leicht erreichbar. Er hatte den großen Vorteil, schon gewa-
schen zu
sein. Kurz durchspülen und dann ins Aquarium.
Der Fischhändler – man sollte vielleicht Zierfischhändler sagen – hatte
seinen Laden gegenüber der Kirche. Man stieg drei Stufen hinauf und
schon stand man drinnen. Alle Wände waren mit Aquarien in mehreren
Etagen bestückt.
Einmal erlebte Herr Blyantur, wie eine Frau fragte, welche Fische er
ihr denn empfehlen könne.
Da entspann sich der folgende Dialog:
„Wie lange haben Sie denn das Aquarium schon?“
„Mein Mann hat es gestern eingerichtet.“
„Nun ja, ich kann Ihnen alle Fische verkaufen, die sie hier sehen.
Davon lebe ich. Übermorgen sind Sie dann aber wieder hier, weil Ihnen
die Fische alle gestorben sind.“
„??“
„Lassen Sie das Becken eine Woche stehen und kommen Sie dann Fische
kaufen. Dann bleiben die auch am Leben.“
Herr Blyantur wusste noch, dass ihm die Formulierung „Davon lebe ich.“
besonders gut gefallen hatte.
Dieser Laden war dann in den nächsten Jahren Herrn Blyanturs
bevorzugtes „Fischgeschäft“.
Er hatte den Bildschirmschoner dann doch nicht installiert, weil die
Vielzahl der Fische viel zu viel Speicherplatz beanspruchte.
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Die Texte
Aquarium
Stapel
Knöpfe
& Fernseher
Postkarte
Bügel
& App
Wanderstock
Gedichte
1
Gedichte
2
Fahrrad
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Winterkampf
Birkenweg
Eule
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Komparse
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