Startseite

Einwortgeschichten

14 Werkzeuge


 

| Impressum | Echo | Startseite |   

 

Einwortgeschichten

Eule


Herr Blyantur hatte damals erst seit Kurzem in diesem Städtchen ge-
wohnt. Im Blütenweg bei der Frau Franke.
Bei einem Besuch der Post – vielleicht, um Briefmarken zu kaufen – fragte er spaßeshalber nach einem Abonnement für die Zeitschrift „Eulenspiegel“. Das war ein Wochenblatt, das sich der Satire und dem Humor verschrieben hatte und eigentlich nur als „Bückmichware“ von unterm Ladentisch zu erhalten war. Vielleicht war grade ein Abonnent der „Eule“ weggezogen oder verstorben, Herr Blyantur konnte jeden-
falls die Zeitschrift bestellen.
Und schon bekam er sie immer donnerstags, obwohl sie am Kiosk schon montags oder dienstags zu sehen war.
Das veranlasste ihn, dem Postzeitungsvertrieb, dem die Zustellung oblag, eine Karte zu schreiben.
Weil es die Vorweihnachtszeit war, nahm er eine Weihnachtskarte. Er nahm aber nicht irgendeine, sondern eine lustige grafische. Abgebildet war ein Bus mit lauter Weihnachtsmännern innen drinnen. Hinterher lief noch ein Weihnachtsmann, der sich wohl verspätet hatte.
An den Bus schrieb Herr Blyantur „PZV“ für Postzeitungsvertrieb, an den Sack des hinterherlaufenden Gesellen „Eule-Zusteller“. Hinten drauf schrieb er die üblichen Weihnachtsgrüße und schickte sie an die Eulenspiegelredaktion.
Er war schon einige Zeit aus der Stadt weggezogen und fuhr nur noch einmal monatlich hin, um die Miete für das Mansardenstübchen zu bezahlen, da übergab ihm die Hauswirtin eine Karte, auf der stand, er solle sich doch bitte bei der Post melden. Das tat er auch. Er wurde in die hinteren Räume zur Leiterin der Postfiliale geführt. Die zeigte ihm seine Weihnachtskarte.
Inzwischen aber hatte der Frühling schon kräftig zugeschlagen.
An seine Karte waren allerdings etliche Schreiben geheftet, die Herr Blyantur nun lesen konnte. Die Eulenspiegelredaktion hatte seine Karte als eine Eingabe – heute sagt man Beschwerde oder Petition - betrach-
tet und an das Postministerium weitergeleitet.
Unter dem machte man es in dieser Redaktion nicht. Von dort landete die Karte, versehen mit einem weiteren Schreiben bei der Bezirkspost-
direktion, die es mit noch einem Schreiben an die Kreispostdirektion sandte. Diese wollte nun von der armen Frau und Leiterin der Post-
filiale des Städtchen wissen, was da los sei.
Man solle die Sache gefälligst mit dem Bürger – damit war Herr Blyantur gemeint – klären.
Da saß er nun und schaute in die traurigen Augen der Frau Leiterin. Sie könne doch nicht dafür, dass die Zeitschrift so spät zugestellt würde, weil sie doch erst am Mittwoch bei ihr ankäme, erklärte sie. Nun hatte aber Herr Blyantur diese inzwischen abbestellt, weil er sie in der Stadt, in der er inzwischen wohnte an einem Kiosk, den eine Hausmitbewohnerin betrieb, montags kaufen konnte.
So war dann mit dem Gespräch der Sache Genüge getan. Die Leiterin schaute jedenfalls einigermaßen erleichtert drein. Ihr Bericht würde nun die Behördenleiter aufwärts nehmen und schließlich vielleicht sogar den Postminister erreichen.
Und Herr Blyantur hatte erlebt, dass kleine Dinge wie eine Weih-
nachtskarte große Wirkungen haben konnten.

Wenigstens bürokratische.

 
Foto

Die Texte


Aquarium

Stapel

Knöpfe & Fernseher

Postkarte

Bügel & App

Wanderstock

Gedichte 1

Gedichte 2

Fahrrad

Namensschild

Briketts

Winterkampf

Birkenweg

Eule

Lokomotive

Schummerstunde

Eiskalt

Komparse

Pixel & Addition


   © 2016 by Rolf Schapp •