Einwortgeschichten
Eule
Herr Blyantur hatte damals erst seit Kurzem in diesem Städtchen ge-
wohnt. Im Blütenweg bei der Frau Franke.
Bei
einem Besuch der Post – vielleicht, um Briefmarken zu kaufen – fragte
er spaßeshalber nach einem Abonnement für die Zeitschrift „Eulenspiegel“.
Das war ein Wochenblatt, das sich der Satire und dem Humor verschrieben
hatte und eigentlich nur als „Bückmichware“ von unterm Ladentisch zu
erhalten war. Vielleicht war grade ein Abonnent der „Eule“ weggezogen
oder verstorben, Herr Blyantur konnte jeden- falls die Zeitschrift
bestellen.
Und schon bekam er sie immer donnerstags, obwohl sie am Kiosk schon
montags oder dienstags zu sehen war.
Das veranlasste ihn, dem Postzeitungsvertrieb, dem die Zustellung
oblag, eine Karte zu schreiben. Weil es die Vorweihnachtszeit war, nahm
er eine Weihnachtskarte. Er nahm aber nicht irgendeine, sondern eine
lustige grafische. Abgebildet war ein Bus mit lauter Weihnachtsmännern
innen drinnen. Hinterher lief noch ein Weihnachtsmann, der sich wohl
verspätet hatte.
An den Bus schrieb Herr Blyantur „PZV“ für
Postzeitungsvertrieb, an den Sack des hinterherlaufenden Gesellen
„Eule-Zusteller“. Hinten drauf schrieb er die üblichen Weihnachtsgrüße
und schickte sie an die Eulenspiegelredaktion.
Er war schon einige Zeit aus der Stadt weggezogen und fuhr nur noch
einmal monatlich hin, um die Miete für das Mansardenstübchen zu
bezahlen, da übergab ihm die Hauswirtin eine Karte, auf der stand, er
solle sich doch bitte bei der Post melden. Das tat er auch. Er wurde in
die hinteren Räume zur Leiterin der Postfiliale geführt. Die zeigte ihm
seine Weihnachtskarte.
Inzwischen aber hatte der Frühling schon kräftig zugeschlagen.
An seine Karte waren allerdings etliche Schreiben geheftet, die Herr
Blyantur
nun lesen konnte. Die Eulenspiegelredaktion hatte seine Karte als eine
Eingabe – heute sagt man Beschwerde oder Petition - betrach- tet und an
das Postministerium weitergeleitet.
Unter dem machte man es in
dieser Redaktion nicht. Von dort landete die Karte, versehen mit einem
weiteren Schreiben bei der Bezirkspost-
direktion, die es mit noch
einem Schreiben an die Kreispostdirektion sandte. Diese wollte nun von
der armen Frau und Leiterin der Post- filiale des Städtchen wissen, was
da los sei. Man solle die Sache gefälligst mit dem Bürger – damit war
Herr Blyantur gemeint – klären.
Da saß er nun und schaute in die
traurigen Augen der Frau Leiterin. Sie könne doch nicht dafür, dass die
Zeitschrift so spät zugestellt würde, weil sie doch erst am Mittwoch
bei ihr ankäme, erklärte sie.
Nun hatte aber Herr Blyantur diese inzwischen abbestellt, weil er sie
in der Stadt, in der er inzwischen wohnte an einem Kiosk, den eine
Hausmitbewohnerin betrieb, montags kaufen konnte.
So war dann mit dem Gespräch der Sache Genüge getan. Die Leiterin
schaute jedenfalls einigermaßen erleichtert drein. Ihr Bericht würde
nun die Behördenleiter aufwärts nehmen und schließlich vielleicht sogar
den Postminister erreichen.
Und Herr Blyantur hatte erlebt, dass kleine Dinge wie eine Weih- nachtskarte große Wirkungen haben konnten.
Wenigstens bürokratische.
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Die Texte
Aquarium
Stapel
Knöpfe
& Fernseher
Postkarte
Bügel
& App
Wanderstock
Gedichte
1
Gedichte
2
Fahrrad
Namensschild
Briketts
Winterkampf
Birkenweg
Eule
Lokomotive
Schummerstunde
Eiskalt
Komparse
Pixel
& Addition
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