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Herr Blyantur
rettet die Welt

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Geschichten von Herrn Blyantur


Herrn Blyantur rettet die Welt



Es würde wohl so schnell doch nichts werden mit der unterirdischen Speicherung des überschüssigen Kohlendioxids.
Das war das Letzte, was Herr Blyantur wahrnahm, kurz bevor ihm der Kopf nach hinten auf die Sessellehne fiel und er sanft entschlummerte.
Ein tiefer Atemzug begleitet von einem lauten Schnarcher ließen ihn schließlich wach werden. Er schaltete den Fernseher aus, erledigte flüchtig die Abendtoilette und legte sich ins Bett.
Als er am Morgen aufwachte, hatte er schon vor dem ersten Augen-
aufschlag das Gefühl, heute müsse er etwas Besonderes erledigen. Er wusste weder, was er tun müsste, noch hatte er eine wie auch immer geartete Ahnung, was ihm das Gefühl suggerieren wollte.
Er hatte es eben nur, dieses Gefühl.
Irgendetwas hatte es wohl zu tun mit dem, was er als den letzten Eindruck vor dem Wegnicken im Sessel am Abend zuvor registriert hatte.
Doch diesen letzten Gedanken konnte er nicht zurückrufen.
Und er konnte auch nicht - wie der Leser -  einfach weiter oben nachschauen.
So lief er also ruhelos durch die Räume seines Hauses und wartete auf die Eingebung.
Je länger er durch seine Wohnung strich, desto unruhiger wurde er.
Er öffnete hier mal eine Schranktür, dort eine Schublade, nur, um mit leerem Blick hineinzuschauen.
Es brachte nichts. Es fiel ihm nicht ein.
Er wurde das Gefühl der Unruhe nicht los.
Schließlich landete Herr Blyantur im Keller.
Dort stand er vor dem Regal, in das er schon mehrere Bücherkartons verstaut hatte mit Büchern, die er gewiss nicht noch einmal lesen wür-
de. Sie wegzugeben brachte er allerdings auch nicht übers Herz. Auf dem untersten Regalbrett verstaubten etliche uralte Einweckgläser, in denen sich jeweils ein Gummiring und eine metallene Spange befanden.
Dort stand er also und starrte das Regal an, genau, wie er zuvor in die Schränke und Schubfächer gestarrt hatte. Und so in Gedanken versun-
ken versuchte er einen der Bücherkartons, der eine Handbreit hervor stand, in die Reihe zu schieben.
Und er stellte fest, dass es nicht ging.
Irgendetwas war dahinter.
Er zog den Karton heraus und sah etwas, das ließ seinen Herzschlag stocken.
Dahinter war eine Türklinke.
Und unter der Türklinke steckte ein Schlüssel in einem Schloss.
Herr Blyantur war einigermaßen entsetzt.
Er hatte stets geglaubt, sein Haus genau zu kennen und nun das.
In fieberhafter Hast begann er, das Regal leer zu räumen.
Die Bücherkartons stapelte er achtlos in eine Ecke, die Einweckgläser wanderten in den Verpackungskarton des Fernsehers, den er noch aufgehoben hatte und der unten, dort, wo er auf dem Kellerboden stand, schon leicht vermodert war von der Feuchtigkeit. Mit größerer Kraftanstrengung rückte er das leere Regal Stück für Stück und Ruck für Ruck beiseite.
Und dann stand er vor einer Tür, von der er nichts geahnt hatte.
Herr Blyantur drückte die Klinke herunter und zog an der Türe. Nichts rührte sich. Er versuchte, den Schlüssel zu drehen. Ohne Erfolg. Dann drehte er ihn links herum und das funktionierte. Er hatte nun aller-
dings eine noch zugeschlossenere Türe vor sich. Als er rechts herum drehte, ließ sich der Schlüssel plötzlich zweimal drehen. Nun war das Klinkerunterdrücken und Ziehen an der Türe erfolgreich. Mit einem schmatzenden Geräusch löste sich das Türblatt vom Rahmen und mit einem Krächzen öffnete sich die Tür.
Herr Blyantur blickte in einen vollkommen finsteren Raum. Mit der linken Hand tastete er  die Mauer ab und fand auch tatsächlich einen Lichtschalter. Als er ihn betätigte, flackerten etliche Leuchtstofflampen auf und erhellten dann den Raum. Fast wäre Herr Blyantur in ihn hinein gestürzt. Gerade noch rechtzeitig sah er die drei Stufen, die  nach unten auf den gefliesten Fußboden führten.
In der Mitte des Raumes sah er einen Tisch aus Edelstahl mit einem Regalaufsatz aus ebensolchem Material. Links an der Wand stand ein Regal mit etlichen gläsernen Laborbehältnissen. Die Edelstahleinrich-
tung sah neu aus und war blitzblank geputzt. Auch die gläsernen Utensilien strahlten und blitzten im Licht der Lampen.
Herr Blyantur wusste nicht, was er von dieser Geschichte halten sollte.
Und genau in diesem Moment fiel es ihm ein.
Das, was der letzte Eindruck des vorigen Abends gewesen war, an den er sich in den letzten Stunden vergeblich zu erinnern suchte.
Das Kohlendioxid, das die Menschheit in überreichem Maße durch Verbrennung aller möglichen organischen Stoffe erzeugte, galt es, irgendwie zu beseitigen. Das war es, was ihm seit dem Morgen keine Ruhe ließ.
Herr Blyantur setzte sich auf einen Hocker, legte die Unterarme auf die glänzende kalte Tischplatte und sein Kinn auf die Hände.
Wenn man das Kohlendioxid dazu bringen könnte, sich aufzuspalten und die einzelnen Teile dann zwingen könnte, sich mit etwas anderem zu verbinden.
Doch womit? Das war die Frage.
Der Einfall kam ihm, als er sich die Hände wusch.
Wasserstoff wäre ein solcher Stoff. Er könnte sich doch mit dem Sauer-
stoff des Kohlendioxids zu Wasser zusammentun und den Kohlenstoff einfach zurücklassen.
Wenn er nun schon ein Labor in seinem Keller beherbergte, so wollte er es auch nutzen.
Aber wo sollte er die Reagenzien her bekommen?
Am leichtesten schien es ihm, das Kohlendioxid zu beschaffen. Das war in jeder Mineralwasserflasche vorhanden. Doch wie kann man Wasserstoff herstellen?
Herr Blyantur schaute sich um.
Dann sah er es. Das Gerät, mit dem sein Chemielehrer einmal Wasser-
stoff erzeugt hatte.
Er brauchte Strom. Doch nicht schlechthin Strom aus der Steckdose.
Was er brauchte, war Gleichstrom.
Eine Batterie. Die Autobatterie.
Herr Blyantur war richtig stolz auf seinen Einfall.
Herr Blyantur eilte in die Garage am Haus, baute die Batterie aus und schleppte sie in den Keller. Das entsprechende gläserne Gefäß wurde an ein Stativ geschraubt, Wasser eingefüllt und der Strom angeschlos-
sen. Es geschah nichts. Dabei hätte jetzt die Elektrolyse beginnen müs-
sen. Herr Blyantur war ratlos. Er grübelte. Vielleicht würde ja der Pro-
zess beginnen, wenn das Wasser etwas sauer oder basisch wäre. Zuerst wollte er es mit Säure probieren. Einige Tropfen aus der Flasche, auf der „HCl" in Sütterlin mit der Hand geschrieben stand, ließen an bei-
den Elektroden die Gase sprudeln.
Herr Blyantur strahlte.
Der erste Erfolg.
Das weitere war nicht mehr so schwer. Er baute aus den vorhandenen Glaskolben und Glasröhren, die er mit Gummiröhrchen verband eine Strecke auf, in der sich beide Gase vermischen konnten. Das Ende bildete ein gebogenes Rohrstück, das in ein Becherglas ragte. Darin würde sich das Wasser sammeln. Wenn das Experiment gelang.
Herr Blyantur nahm einen Schluck aus der Mineralwasserflasche, de-
ren Kohlendioxid er doch nicht brauchen würde, denn er hatte in einer Ecke eine graue Stahlflasche entdeckt, die dieses Gas enthielt.
Er wischte sich die schweißigen Hände an den Hosenbeinen ab.
Dann ließ er beide Gase in das Glasgebilde strömen. Und wartete. Nach einiger Zeit hielt er ein brennendes Holzstäbchen an das Becherglas. Es puffte. Der Wasserstoff war noch keine Verbindung eingegangen mit dem Kohlendioxid.
Er war schlicht verbrannt. Herr Blyantur wartete länger.
Das gleiche Ergebnis. Mit einem kurzen Knall verbrannte der Wasserstoff.
Ihm stand der Schweiß schon wieder auf der Stirn.
Plötzlich fiel ihm der Begriff Katalysator ein.
In einem hölzernen Koffer fand er etliche ordentlich in die vorgesehe-
nen Vertiefungen gelagerte runde Dosen mit jeweils einer Öffnung vorn und hinten.  Sie passten in die Vorrichtung auf seinem Labortisch. Herr Blyantur begann mit der Dose links oben. Jede der Dosen trug eine eingeprägte Nummer. In der Vertiefung gab es diese Nummer ebenfalls, aber darunter stand ein chemisches Zeichen, das Herrn Blyantur anzeigte, aus welchem Stoff der Katalysator war.
Er erwartete kein schnelles Ergebnis.
Nacheinander probierte er die Dosen der Reihe nach aus. Mit der siebenten Dose geschah es dann.
Aus dem gebogenen Röhrchen tropfte schmutzigbraunes Wasser. Herr Blyantur war zuerst starr vor Schreck. Er konnte es so recht nicht fas-
sen. Wasser mit Kohlepartikeln.
Vorsichtig tunkte er einen Finger in die Flüssigkeit und verrieb sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Es fühlte sich glatt an und die Fingerkuppe glänzte anthrazitfarben.
Er ging hinüber zu dem hölzernen Koffer, um nachzusehen, welchen Stoff er dieses Mal als Katalysator verwendet hatte.
Plötzlich klingelte der Wecker, den er jedes mal einstellte.
Herr Blyantur drückte auf den Knopf, aber das Klingeln hörte nicht auf.

Da wurde er wach.
Das Klingeln kam von der Haustüre.
Ganz benommen torkelte er regelrecht zur Tür und öffnete.
Es war heller Morgen bei strahlendem Sonnenschein. Draußen stand der Postbote.
Er hatte ein Einschreiben.
Herr Blyantur unterschrieb an der entsprechenden Stelle und schloss die Tür wieder.
Er sank auf den Schemel, auf den er sich zum Schuhezubinden immer setzte, stützte die Ellbogen auf die Knie, nahm den Kopf in die Hände und versuchte, zu sich zu kommen.
Was war das?
War es Wahrheit oder war es ein Traum?
Dabei stand ihm alles so deutlich vor Augen, es konnte kein Traum sein.
Herr Blyantur ging in den Keller.
Das Regal stand an seinem Platz an der Wand.
Die Bücherkartons waren ordentlich eingestapelt und keiner von ihnen stand auch nur ein bisschen hervor.
Auch die eingestaubten Einweckgläser standen im untersten Fach in Reih und Glied wie eh und je.
Er hatte also tatsächlich alles nur geträumt.

Ein anderer würde wohl an seiner Statt die Welt retten müssen.




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Die Texte


Das Notizbuch des Herrn Blyantur

Herr Blyantur und das gestörte Verhältnis

Herr Blyantur feiert Weihnachten

Herr Blyantur und das Regal

Herr Blyantur und das Album

Herr Blyantur besichtigt ein Gotteshaus

Herr Blyantur rettet die Welt

Herr Blyantur und das Geräusch

Ännes Eiche

Herr Blyantur und die Unendlichkeit

Die Zeit des Herrn Blyantur

Paragraphenhengst &
Herr Blyantur bestellt ein Wasser



   © 2010 by Rolf Schapp •