Geschichten von Herrn Blyantur
Das Notizbuch des Herrn Blyantur
Warum er es getan hatte, wusste er so recht nicht.
Doch er hatte es getan.
Er hatte das rosafarbene Buch eingepackt.
Er nannte es sein Notizbuch. Einen kurzen Moment lang dachte er, man
könnte es Skizzenbuch nennen, doch das passte wohl eher zu einem
Zeichner.
Ein solcher aber war Herr Blyantur nicht.
Es war ein mit stabilen, an den Kanten schon leicht beschädigten
Pappdeckeln von verwaschener rosa Farbe eingefasstes Buch. Vorne in dem
Kästchen für die Beschriftung stand das Wort „Eingaben" und
darunter „AGL 16". Ganz dunkel erinnerte sich Herr Blyantur,
woher
er dieses Buch hatte. Wenn man es aufschlug, konnte man
sehen, dass etliche Seiten herausgerissen worden waren. Darauf hatten
die Eingaben an die ominöse AGL 16 gestanden.
Es waren aber noch genügend leere kleinkarierte Seiten übriggeblieben.
Deshalb wohl hatte es Herr Blyantur nicht übers Herz gebracht, es
wegzuwerfen.
Und so hatte er es mit in den Urlaub genommen.
Herr Blyantur war an die Ostsee gefahren.
Das Hotel hoch oben über der steilen Küste lehnte sich mit einer Seite
an einen Buchenwald, den die Einheimischen den Gespensterwald nannten.
Nachdem er sein Gepäck im Zimmer verstaut hatte, ging er an den Strand
hinunter.
Und da fiel ihm ganz plötzlich eine Geschichte ein.
Herr Blyantur ärgerte sich, dass er das Buch nicht mitgenommen hatte.
Sobald er in das Zimmer zurückgekehrt war, notierte er auf der ersten
Seite seine Geschichte. Fortan schleppte er das Notizbuch überall mit
hin. Meist schrieb er zwar erst nach den Wanderungen und Ausflügen
seine Gedanken in das Büchlein, doch einmal geschah das auch während
eines Ausflugs. Er saß in einem Lokal in dem Ort mit dem historischen
Leuchtturm und dem Café mit dem ulkigen Dach.
Er blickte auf die
Schiffe, die am Kai vertäut waren und auf die Menschen, die geruhsam
daran vorbei defilierten und schrieb in das rosafarbene Büchlein.
Die Leute an den Nachbartischen guckten zwar und tuschelten miteinander.
Herrn Blyantur entlockte das aber nur ein stilles Schmunzeln.
Am Ende des Urlaubs hatte er zahlreiche kleine Geschichten auf die
karierten Seiten geschrieben. Manchmal aber auch nur die Überschrift
einer Geschichte oder kurze Stichpunkte.
Er würde daraus schon richtige Geschichten machen.
Auf der Heimfahrt hin zu seinem Hügel, den manche auch Berg nann-
ten,
überlegte er sich schon, wie sein Büchlein einmal aussehen würde. Auch
ein Titel fiel ihm ein. Er fieberte schon dem Moment entgegen, wenn das
Buch fertig sein würde.
Kaum war er in seinem Haus angekommen, packte er die Reisetasche aus.
Das Notizbuch war nicht da.
Er durchsuchte seinen Rucksack, ja er guckte auch in die Fächer des
Rucksacks, in die schon wegen der Größe das Notizbuch nicht
hinein-
passen konnte. Nochmals suchte er in der Reisetasche.
Er
durchwühlte sogar die schmutzige Wäsche, die er aus der Tasche auf den
Fußboden geworfen hatte.
Das Notizbuch war nicht da.
Herr Blyantur war am Boden zerstört.
Er rief im Hotel an. Man möge doch bitte in seinem Zimmer suchen.
Er
beschrieb mit blumigen Worten sein Notizbuch.
Man versprach ihm, sich darum zu kümmern. Er solle später nochmals
anrufen.
Vielleicht liegt es ja im Auto, dachte sich Herr Blyantur und ging nach
draußen. Als er die Haustür durchschritt, durchzuckte ihn ein
furcht-
barer Schreck. Er konnte grade noch den Fuß in die Türe stellen.
Fast wäre das passiert, wovor er sich so sehr fürchtete. Fast wäre er
drau-
ßen gewesen vor der zugeschlagenen Tür und der Schlüssel hätte von
innen im Schloss gesteckt. Das war ja noch einmal gut
ausgegangen, dachte er.
Herr Blyantur untersuchte nun das Innere des Autos. Er kroch regel-
recht
unter die Sitze. Er räumte den Kofferraum aus und sah sogar dort nach,
wo sich das Ersatzrad befand.
Das Notizbuch war nicht da.
Er rief ein weiteres Mal im Hotel an. Man hatte nichts gefunden.
Da setzte sich Herr Blyantur an den Küchentisch und begann sein
Gedächtnis zu durchforsten nach den Geschichten, die sein rosarotes
Notizbuch enthalten hatte.
Es würde wohl sehr mühselig werden.
Als Herr Blyantur seine Reisetasche oben im Schrank verstauen wollte,
fiel ihm etwas entgegen.
Es war das Notizbuch.
Es hatte sich unter die Versteifungspappe am Grunde der Tasche
verkrochen.
Herrn Blyanturs Augen wurden feucht von den Tränen der Freude.
Aus diesen Geschichten wurde schließlich sein erstes Büchlein.
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Die Texte
Das
Notizbuch des Herrn Blyantur
Herr
Blyantur und das gestörte Verhältnis
Herr
Blyantur feiert Weihnachten
Herr
Blyantur und das Regal
Herr
Blyantur und das Album
Herr
Blyantur besichtigt ein Gotteshaus
Herr
Blyantur rettet die Welt
Herr
Blyantur und das Geräusch
Ännes
Eiche
Herr
Blyantur und die Unendlichkeit
Die
Zeit des Herrn Blyantur
Paragraphenhengst
&
Herr Blyantur bestellt ein Wasser
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